Prof. Dr. Joachim G. Schäfer ist Professor für internationales Transportmanagement an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Lörrach. In der Deutschen Verkehrs-Zeitung (DVZ) schreibt er über seine Einschätzung, wie sich der Seefrachtmarkt in diesem Jahr entwickeln wird.
„Das vergangene Jahr war für viele Logistikmanager ein schwieriges. Diejenigen, die für die gestörten Warenflüsse nicht verantwortlich, aber zuständig sind, mussten ihren Vorgesetzten immer wieder neu erklären, warum Containerreedereien es bei nahezu völliger Unzuverlässigkeit auf einmal wagten, bis zu zehnmal so hohe Raten zu verlangen. Viele sehnen sich nun, zu Jahresbeginn, nach einem ruhigeren 2022 – doch Anzeichen für ein solches gibt es wenige.
Vieles spricht dafür, dass sich das Ratenniveau in einem überschaubaren Zeitraum weiter abflachen wird. Wer aber die wesentlichen Faktoren für die Engpässe im abgelaufenen Jahr analysiert, wird sich schnell seiner Hoffnung genommen sehen, dass die Frachtkosten wieder auf ein Vor-Corona-Niveau fallen werden. Die Nachfrageseite hat sich im vergangenen Jahr ganz anders entwickelt als in den meisten Budgetplänen vorgesehen. Es wird zum Teil noch Monate dauern, bis die Lager der Händler und Produzenten wieder gefüllt sein werden.
Gleichzeitig wird die Nachfrage nach Konsumgütern nach wie vor sehr stark bleiben und die Containerverkehre weiterhin vorantreiben. Dies wird umso mehr gelten, je länger der Dienstleistungssektor Corona-bedingt darniederliegt. Auch staatlicherseits wird die Konjunktur befeuert, vor allem durch das billionenschwere Infrastrukturpaket der US-Regierung.
Machtzuwachs der Reedereien
Die globale Kapazität der Containerflotten beträgt rund 25 Millionen TEU; in den Orderbüchern stehen bis 2025 Neubauten mit einer Kapazität von mehr als 5 Millionen TEU. Droht ein neuer Schweinezyklus mit kollabierenden Frachtraten? In vergangenen Jahrzehnten sorgte das zyklische Überangebot an Kapazität dafür, dass die Raten des Schiffstransports oft unter denen der Gestellung eines Containers aus dem Hinterland lagen. Gelegentliche Ratenerhöhungen trieben die Transportpreise auf ein Niveau, bei dem Reedereien für kurze Zeit ihre Kapitalkosten erwirtschafteten. Von Dauer waren diese Entwicklungen selten, und ineffiziente Akteure wurden vom Markt verdrängt. Die Situation heute ist eine andere, der Markt ist durch die Verschmelzung von Reedereien und deren Zusammenschluss in nur noch drei Allianzen konsolidiert. Börsennotierte Reedereien wie Hapag-Lloyd und Maersk vermelden ein Rekordergebnis nach dem anderen.
Auf Sicht werden Reedereien ihre Kapazitäten weiterhin intelligent steuern: kurzfristig, indem sie Abfahrten streichen (Blank Sailings); langfristig durch das beschleunigte Abwracken kleinerer, ineffizienterer Schiffe. Bei den jetzigen Raten ist Letzteres jedoch zumeist aufgeschoben. Aus ökologischer Sicht ist die Vermeidung von Überkapazitäten eine positive Entwicklung, weil Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele durch die Bereinigung der Flotten flankiert werden können.
Überdies ist die Krise des knappen Schiffraums auch eine der zur Verfügung stehenden Container. Die Verstopfungen der Häfen, die dadurch verzögerte Rückgabe der Leercontainer und das immer noch große Handelsbilanzdefizit der USA führen dazu, dass immer mehr Container leer repositioniert werden müssen. Die Kosten werden auf den nächsten Import umgelegt. Pro Stellplatz auf einem Schiff benötigt eine Reederei in normalen Jahren zwei Container. Die Jahresproduktion von etwas über 4 Millionen Boxen ging hauptsächlich in den Ersatz alter Container und nur begrenzt in den Ausbau des Bestands. Selbst wenn der jetzige Mangel an leeren Containern kurzfristig behoben werden sollte, wird dies nicht lange vorhalten, denn es bedarf 10 Millionen zusätzlicher TEU, um den theoretischen Zuwachs an Stellplätzen in den kommenden vier Jahren zu bewältigen.
Produktivität durch Innovation
Wie schnell sich die Knappheit an Kapazitäten auf ein stabiles Niveau einpendelt, wird spannend. Dies gilt ebenso für die Frage, worin das Interesse der Reedereien bestehen könnte, hier zu investieren, wenn doch durch Detention pro Tag das Zweihundertfache der Abschreibung auf den Container erlöst werden kann. Möglicherweise werden manche Versender und Speditionen die Anschaffung eigener Container (sogenannte Shipper Owned Container, SOC) in Erwägung ziehen. Die koordinierten Ansätze, die Überlastungen insbesondere in den nordamerikanischen Häfen zu verringern, sind allesamt löblich, aber dennoch unzureichend.
Es bleibt die Hoffnung, dass durch viele kleine Schritte Schiffe schneller entladen werden und Container schneller die Häfen verlassen. So werden nicht abgeholte Boxen aus den Häfen ausgelagert, Betriebszeiten erweitert, mehr Überstunden geleistet und alte Container über ihre eigentliche Lebensdauer hinweg eingesetzt. Der große Wurf fehlt allerdings noch. Wirkliche Sprünge in der Produktivität lassen sich nur durch eine sehr viel weiter gehende Automatisierung realisieren.
Der Yangshan Terminal 4 in Shanghai, die Anlagen in Tjianjin und die der Maasvlakte in Rotterdam sind hierbei die maßgeblichen Vergleichsgrößen. Immerhin sehen die Pläne der US-Regierung 17 Millliarden Dollar vor, um die veraltete Infrastruktur der amerikanischen Häfen zu modernisieren. Dies wird natürlich dennoch nicht ausreichen: Allein in dem bereits ungleich produktiveren Hafen Singapur sollen bis 2024 noch einmal 15 Milliarden Dollar investiert werden. Auch bedarf es eines fundamentalen Wechsels der Zusammenarbeit der Sozialpartner in den Häfen. Was bedeutet all dies für Importeure? Vieles wird sich im laufenden Jahr voraussichtlich beruhigen. Aber gleichzeitig empfiehlt sich, sich bei der Optimierung der Beschaffung mittelfristig auf einen neuen Normalzustand einzustellen, der sich deutlich von dem vor der Pandemie unterscheidet.“
Quelle: DVZ